Endlich hatte er sich mal wieder aufgerafft und das Haus verlassen, außer, um zur Arbeit zu gehen, oder die wichtigsten Besorgungen zu machen. Viel zu lange dauerte diese beschissene Pandemie jetzt schon, und der dunkle und verregnete Januar hatte ihm zugesetzt. Es war nicht diese Art Dunkelheit, die sich für gewöhnlich wie ein Mantel um ihn legt. Die Art Dunkelheit, in der er zuhause war, sondern eine abstoßende, alles verschlingende und kalte Dunkelheit. Winterblues in einem Winter, der wieder einmal keiner war. Aber heute war es endlich mal hell und freundlich. Kalte und klare Luft, selbst die Straßen waren endlich wieder abgetrocknet. Und er war allein. Lone Wolf Day, hatten sie es früher einmal genannt. Zeit nur für sich.
Inzwischen hatte er allerdings sein inneres Krafttier ziemlich vernachlässigt, so dass es sich schon länger nicht mehr hat blicken lassen. Möglicherweise war an dem Hashtag #feigerwolf ja doch etwas dran, unter dem seine Ex-Secondary inzwischen mit allen möglichen “witzigen” Bildchen und Sprüchen die Welt der Social Media traktierte. Zugegeben, er ghostete sie seit etlichen Wochen hart, aber er hatte seine guten Gründe. Gründe, die sie weder verstehen noch akzeptieren würde, egal, wie oft er sich erklärte.
Vielleicht konnte er sein Krafttier ja in der Natur wiederfinden. Also schnappte er sich seine Kamera, schwang sich ins Auto und fuhr an einen seiner Lieblingsorte.
Hier am Nordostsee-Kanal hatte er alles, was er jetzt brauchte: Viel Wind um die Nase, weite Blicke über die Felder, Vögel, Wasser, Schiffe und wenig Menschen. Trotz der wirklich wenigen sozialen Kontakte in den letzten Monaten waren Menschen heute so ziemlich das letzte, was er um sich haben wollte. Überhaupt – Menschen. Ok, es gibt Ausnahmen…
Er parkte das Auto an der Fähre und begab sich in Richtung des Wirtschaftswegs. Toll! Menschen! Natürlich hatten sich noch mehr von ihnen vom Wetter zu einem Spaziergang am Spätnachmittag animieren lassen. Aber er setzte darauf, dass der in Kürze vorbestehende Sonnenuntergang und die Kälte die meisten wieder nach Hause trieb. Er ging eine ganze Weile in Richtung der nächsten Weiche, genoss den kalten Wind, der ihm entgegenwehte, und die tatsächlich noch ein wenig wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht. Die Sonne stand schon tief und war teilweise durch Wolken verdeckt. Ein grandioses Lichtschauspiel in gedeckten Farben gab ihm die Gelegenheit, sich in Gegenlichtaufnahmen zu üben. Irgendwann trieb ihn der dreifache Espresso, den er vor Abfahrt noch getrunken hatte, in die Büsche. Während er das Wasser abschlug, entdeckte er einen riesigen, von Efeu überwucherten Baum, der ansonsten sehr stark bis auf den Stamm zurückgeschnitten war. Gewissermaßen nur noch ein gigantischer “Efeustamm”. Seltsamerweise war ihm dieser Baum früher nie aufgefallen, so dass er nun näher ging, um sich diese Kuriosität genauer anzusehen und ein, zwei Bilder davon zu machen.
Auf dem Rückweg zum Kanal bemerkte er dann, dass er inzwischen von zwei jungen Frauen eingeholt wurde. Beide so mitte Zwanzig vielleicht. Die kleinere Brünette trug einen langen grünen Steppmantel und war von für ihn uninteressanter Erscheinung. Die Andere war größer, bestimmt an die Einsachtzig, also fast so groß wie er. Blonde Haare lugten frech unter der Strickmütze hervor, und umrahmten ein wirklich hübsches Gesicht. Die webpelzbesetzte hellbraune Winterjacke endete knapp über ihrem prachtvollen Hintern, den die eng sitzendenden Bluejeans vorteilhaft in Szene setzte. Sein inneres Raubtier blinzelte verschlafen und vermeldete potentielle “Beute”, aber er war schießlich an den Kanal gegangen, um den Kopf wieder frei zu bekommen, und nicht um nach einer potentiellen neuen Gefährtin oder Gespielin Ausschau zu halten. Er gab den beiden etliche Meter Vorsprung, bevor er wieder aus den Büschen hervortrat. Er wollte schlicht nicht, dass die beiden es mit der Angst bekamen, wenn da plötzlich ein in dunkler Tarnkleidung gehüllter Mann aus den Büschen kam. “Es ist schon eine Schande”, dachte er, ” dass sowas nötig ist.” Phantasien sind das Eine, aber welches Arschloch kommt auf die Idee, eine solche Situation und die körperliche Überlegenheit für … nichtkonsensuelle Dinge auszunutzen? Zuviele anscheinend, gab er sich selbst die Antwort.
So gingen sie einige Zeit. Die beiden Frauen weit voraus, er gemächlich hinterher in Richtung der nächsten Weiche. Der NOK besaß insgesamt zwölf verbreiterte Ausweichstellen, wo sich Frachtschiffe der großen Verkehrsklassen gefahrlos begegnen können. Diese hier endet nur knapp zweieinhalb Kilometer von der Fährstelle, wo er sein Auto geparkt hat. Im Sommer eine begehrte Laufstrecke, um “mal eben” fünf Kilometer abzuspulen. Jetzt bezogen hier nur noch ein paar Angler Quartier. Angeln, also nach Fischen zumindest, war eines dieser Hobbies, die er noch nie verstanden hat. Er bezog an der breitesten Stelle Position, um ein paar Wasservögel zu beobachten und um auf ein gescheites Fotomotiv zu lauern. Lange würden die Lichtverhältnisse nicht mehr mitmachen, also kann man langsam mal an den Rückweg denken. Dachten sie die beiden Frauen anscheinend auch, denn sie waren schon wieder auf dem Rückweg. Die Blonde würde vermutlich auch ein gutes Model abgeben, dachte er sich. Sie jetzt aber einfach anquatschen, war nicht sein Stil. Andererseits, was gibt es zu verlieren?
Er nahm gerade eine Blässralle ins Visier, als die Beiden seine Position passierten. Vordergründig tat er so, als wolle er den Vogel fotografieren, aber seine tatsächliche Aufmerksamkeit lag hinter ihm. Witterung aufnehmen. Ohne sich umzudrehen sagte er “Möchtet ihr vielleicht mal vor der Kamera stehen?” Meine Güte, war das abgedroschen! Aber er brauchte irgendeinen Aufhänger, um den Kontakt herzustellen. Und tatsächlich, die Beiden machten halt. “Was ist das denn für eine plumpe Anmache?” entgegnete die Blonde. “Plump, zugegeben, aber sie funktioniert doch meistens noch immer.” antwortete er. “Wie hätte ich denn deiner Meinung nach sonst deine Aufmerksamkeit bekommen können, die ich jetzt offensichtlich habe?” Sie zog eine Augenbraue hoch. Touché! “Was für Aufnahmen schweben Dir denn vor?”, fragte sie. “Oh, ich bin da ziemlich flexibel. Aber hier und heute bieten sich höchstens ein paar Portraitaufnahmen mit natürlichem Hintergrund an. Leider habe ich nur das Telezoom mit, welches sich dafür nicht wirklich eignet. Ich war nicht auf sowas eingestellt.” Sie lachte. “Da macht der Typ Angebote, die er gar nicht einhalten kann. Oder willst du uns bloß in dein dunkles Studio im Keller locken, um uns zu schänden?” Oha, da war er wohl ein richtiges kleines Lästermaul gestoßen! Oder spielte sie gar in “seiner Liga”? Nun, das wird wohl herauszufinden sein. “Nein, ich habe zwar einen dunklen Keller, aber ein Fotostudio befindet sich nicht dort drin. Obwohl dort tatsächlich schon Fotos entstanden sind. Außerdem “schände” ich niemanden, ohne sein oder ihr vorheriges explizites Einverständnis. Egal ob im Keller oder wo auch immer.” Nach dieser sehr direkten Replikt lief die Brünette kirschrot an, während die Blonde umso lauter lachte. Aber auch sie entwickelte einen zartroten Schimmer. “Na, ein Glück, tatsächlich dachten wir schon, du würdest uns ins Gebüsch zerren und einfach ficken wollen.”
“Du bedienst dich einer sehr direkten Sprache, das gefällt mir.”, antwortete er, “Aber wie du zweifelllos schon erkannt hast, ist meine Sexualität ein bisschen eine Andere. Außerdem habe ich heute Früh schon gefickt, und ich bin nicht mehr in dem Alter, wo ein Mann den ganzen Tag durchvögeln kann, und die Nacht noch dazu. Insofern habt ihr wohl Glück gehabt. Oder Pech, je nachdem, wie ihr das sehen wollt.” Während die Kleinere von beiden immer mehr rot anlief und gleichzeitig kleiner und stiller wurde, stachelte das die Blonde nur weiter auf, was das Glitzern in ihren grünen Augen deutlich verriet. “Na, wie ein Christian Grey siehst du mir aber nicht gerade aus”, lachte sie weiter. Er umkreiste sie jetzt langsam, was sie mich wachsamen Augen verfolgte, und trat von hinten so an sie ran, dass er sie jederzeit ins Genick packen, aber seine empfindlichen Teile vor ihren eventuellen Attacken schützen könnte. Nein, unterschätzen würde er diese Frau nicht! Er legte seine rechte Hand zwischen die Schulterblätter, brachte sein Gesicht dicht an ihr Ohr und flüsterte: “Und du bist nicht Anastasia Steele. Außerdem weißt du, dass diese Schundromane einer untervögelten Hausfrau aus dem Land der Prüderie totaler Blödsinn sind! Mich kannst du eher so sehen wie einen Jack Nicholson aus “Wolf”. Aber diesen Klassiker dürftest du vermutlich nicht kennen, oder etwa doch?” Seine Hand ist inzwischen höher gewandert und er fuhr ihr nun mit dem Nagel des kleinen Fingers vom Haaransatz herab zu dem Dornfortsatz des Prominens. Er ließ die Kleinfingernägel quasi als “Primärwaffen” stets etwas länger stehen, und so verfehlte diese Geste ihre Wirkung definitiv nicht, was an einem deutlichen Erschauern ihrerseits sichtbar wurde
Das Ganze entwickelte sich zu einem Spiel nur zwischen den Beiden, und er hatte keine Ahnung, was er mit der schüchternen Kleinen anstellen sollte. Denn wenn das so weiterginge, würde sie vermutlich nur im Weg sein. Das schien sie indes auch erkannt zu haben, denn nachdem die Große sich zu ihm umgedreht hatte und tief in seine Augen blickte, sagte sie “Ich glaube, ich gehe schon mal vor zum Auto”, drehte sich um, und verschwand mit eiligen Schritten.
“Passiert dir das öfter, dass du die Frauen einfach so verscheuchst?” fragte sie provozierend.
“Ja, manchmal. Die, die aber keine Angst haben und bleiben, sind die, die mich interessieren. Oder die, die Angst haben, und trotzdem bleiben. Manchmal weiß ich nur nicht, welche der beiden Varianten ich wirklich bevorzuge.” Sie begannen einen Tanz umeinander herum, ein nonverbales Antesten und Abchecken. Ja, auch in dieser Frau, deren Namen er immer noch nicht kannte, steckte viel von einem Raubtier. Vermutlich ahnte sie das bereits, aber wieviel von ihrer Natur ihr bewußt war, konnte er noch nicht erkennen. Schade war nur, dass er in dieser Kälte und mit diesen vielen Klamotten an ihrem Leib nicht sonderlich viel von ihrem Geruch aufnehmen konnte. “Ich habe keine Angst vor dir!”, rief sie und sprang auf ihn zu. Da versuchte sie doch tatsächlich ihn anzugreifen! Er konnte gerade noch reagieren und zur Seite treten und diese überraschende Attacke so ins Leere laufen lassen. Zeitgleich ergriff er ihr Handgelenk und drehte den Arm auf den Rücken, und zwar so hoch, dass sie schmerzhaft das Gesicht verzerrte. Gleichzeitig drückte er sie ins Hohlkreuz, so dass sie keine Ausweichbewegung machen konnte, dann brachte er erneut seinen Mund an ihr Ohr. “Vorsicht, du Wildling, es könnte sonst sein, dass du dir sehr weh tust! Wenn meine Art von Sex kennen lernen willst, wirst du dich mir schon unterwerfen müssen.” “Dann bring mich dazu”, presste sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie versuchte nach hinten auszukeilen und sich aus seinem Griff zu winden, schaffte es aber nicht ihn zu treffen. Nach ein paar Minuten gab sie die erfolglosen Gegenwehrversuche auf. Er lockerte den Griff, blieb aber wachsam und traute dem Frieden nicht. Mit der anderen Hand griff er ihr in die Haare und zog den Kopf langsam weiter nach hinten. “Wie wäre es denn, wenn du zur Abwechslung mal auf die Knie gehst?”, knurrte er ihr ins Ohr, drehte den Kopf zur anderen Seite, legte seine Zähne an den so entblößten Hals und ließ seine Kiefer langsam zufahren. Sie stöhnte leise, während ihre Knie weich zu werden begannen. Sie sank unter seinem Kehlbiss langsam zu Boden. ‘Sollte es das schon gewesen sein?’, wunderte er sich. Aber tatsächlich schien sie sich zumindest für diesen Augenblick geschlagen zu geben. Sie kniete nun zwar, aber noch aufrecht. “Siehst du? War doch gar nicht so schwer, oder? An deiner Art zu knien können wir aber noch arbeiten!” Er korrigierte ihre Haltung in einen ordentlichen Fersensitz mit gespreizten Knien. “Jetzt streck deine Hände aus!” Sie tat es wirklich, aber ihre Augen funkelten ihn mit dieser seltsamen Mischung aus Wut und Erregung an, die ihn stets so triggerte. Ja, sie würden großartigen Spaß miteinander haben, das wusste er jetzt. Zum Glück hatte er wie so oft eines seiner Seile dabei, und so band er ihre Handgelenke und benutzte das übrige Seil als Führstrick. “Sag, deine Freundin, ist sie zu ihrem oder zu deinem Auto gegangen?” fragte er. “Zu ihrem.”, war ihre knappe Antwort. “Gut, dann können wir jetzt zu meinem Auto gehen. Dann zeige ich dir den dunklen Keller, den du ja so sehr begehrst.” Und so führte er sie in der zunehmenden Dämmerung zurück zum Parkplatz an der Fähre. Hoch oben am winterlichen Nachthimmel hatte inzwischen der erste Vollmond des Jahres seinen Platz eingenommen. Wieder war ihm zum Heulen zumute, aber diesmal gänzlich anders als noch wenige Tage zuvor…