Begegnungen: Nebelmond

Auch eine Begegnung. Aber eine, die bislang nur in der Phantasie stattgefunden hat. Und manchmal bleiben solche Phantasien auch nur das. Leider…


Nebelmond

Es ist kalt geworden. Die Bäume haben ihre Blätter fast abgeworfen. Nebel steigt auf aus den Wiesen und Feldern. Das letzte Tageslicht ist im Begriff zu schwinden, und der Mond, fast voll und rund macht sich bereit, seinen Platz am Himmel für die vorletzte Vollmondnacht des Jahres einzunehmen.

Der Wolf schnürt gemächlich durch sein Revier. Ein lichter Buchenwald, leise plätschert ein Bach in der Nähe. Ein Uhu schickt noch verschlafen sein erstes “Huh” durch den Abendhimmel.

Da! Da ist sie wieder, die Witterung, die er vor mehr als zwei Wintern das erste Mal wahrgenommen hat: Ein Reh, eine erfahrene Ricke, die, und das war erstaunlich, keinerlei Angst vor ihm hatte. Im Gegenteil, sie standen sich Auge in Auge gegenüber, und sie lief nicht weg. Er erkannte die Ricke als Beute, während sie sich ihm gar bereitwillig anbot, als wolle sie von ihm erlegt werden. Zuerst wollte der Wolf sie schlagen. Zu lieblich und verlockend war ihr Duft, der seinen Blutdurst entfachte. Und tatsächlich bot sie sich ihm dar. Der Wolf hielt inne. Er bekam großen Respekt vor der Ricke, also zog er sich zurück. Zu groß erschien ihm das Geschenk! Später vielleicht, sagte er sich, und zog von dannen.

Und so ging die Zeit ins Land. Der Wolf zog umher, und hin und wieder traf er auf die Ricke. Aber er rührte sie nie an. Sein Interesse an ihr war genauso erloschen, wie ihre Hingabe an ihn. Sie respektierten sich gegenseitig, aber mehr auch nicht.

Vor ein paar Monden musste der Wolf einer seiner Gefährtinnen bedeuten zu gehen. Schmerzliche Zeiten, in denen er weite Streifzüge allein durch das Revier unternahm. Wie beiläufig riss er mal hier, mal dort Beute.

Eines Abends, noch nicht lange her, traf er wieder auf die Ricke. Da war es wieder! Er nahm erneut ihren Geruch in sich auf. Und sie, so schien es, erkannte ihn wieder. Vorsichtig noch vergrub er seine Nase in ihrem Fell, und sie ließ ihn nicht nur gewähren, sie schien tatsächlich wieder einen Hauch der früheren Hingabe an ihn zu verspüren. Erregung stieg in ihm auf, aber nein. Noch nicht! An diesem Abend war immer noch nicht die richtige Zeit, nicht die rechte Gelegenheit.

Es sollte noch etwas dauern. Bis heute Nacht, wo sie auf der im silbernen Licht des Nebelmondes glänzenden Waldlichtung aufeinander trafen…

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